Mit Kindern ins Gespräch kommen – so kann es gelingen

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Wisst ihr, wann mir das Mama-Sein am meisten auf die Nerven geht? Wenn mir die Kinder einen Spiegel vorhalten oder mich zu sehr an mich selbst erinnern. Wenn ich plötzlich Charaktereigenschaften an ihnen entdecke, die mich sehr an mich selbst erinnern und ich mir denke: Warum habt ihr die bekommen?

Als meine 7-jährige Tochter heute von der Schule nach Hause kam, bekam ich das lautstark mit. Statt einem fröhlichen Mädchen, das mir aufgeregt von ihrem Tag in der Schule berichtet, stand ein Wesen vor mir, das ich so nicht kenne. Also nicht von ihr. Ich selbst bin manchmal schon so. Die Schultasche wurde wütend in eine Ecke geknallt, die Jacke flog auf den Boden und die Schuhe donnerten ins Regal. Auf mein „Hallo, wie war dein Tag?“ folgte ein Murren. Ähnlich einem Elefant stapfte sie ins Zimmer, knallte die Tür zu. Ich dachte schon: Gut, war wohl nicht so ihr Tag. Einige Minuten später ging die Tür auf und ein Zettel wurde an der Kinderzimmertür befestigt: „Ich will meine Ruhe“. Das war eine Ansage. Ich kenne es ja von mir, manchmal brauche auch ich Zeit, um wieder zu mir zu kommen. Dem Knallen der Tür folgte lautstarke Musik, Nena. Aha. Auch das kommt mir bekannt vor und erinnert mich ein bisschen an mein pubertäres Verhalten. Aber da liegen ja noch Jahre dazwischen!

Ich fragte mal Frau Schnecke, ob sie mitbekommen hat, was heute in der Schule passiert ist. Schließlich sitzen sie in derselben Klasse, es könnte ja sein. Sie meinte nur: „Die spinnt heut schon den ganzen Tag.“ Gut, ich ließ sie also in Ruhe, wie gewünscht. Aber es brannte mir auf den Lippen zu erfahren, was denn los sei. So kenne ich sie gar nicht. Da ging die mütterliche Neugier mit mir durch, denn es würde wohl jeder Mutter wehtun, sein Kind leiden zu sehen und nicht zu wissen, was denn passiert ist.

Dann erinnerte ich mich daran, wie es mir als Kind auf die Nerven ging, wenn mich meine Mutter ständig mit Fragen traktierte: Was ist denn los? Was hast du denn? Warum schaust du so grantig? Bäh! Meine Gesprächsbereitschaft sank auf unter null. Das möchte ich auf keinen Fall, denn normalerweise ist Frau L. sehr offen und wir können gut reden. Das möchte ich unbedingt aufrechterhalten, damit wir auch später noch in Kontakt bleiben, wenn die eigentliche Loslösung in der Pubertät beginnt. Über Gespräche können wir in Kontakt bleiben. Doch jedes Gespräch braucht zwei Parteien – derzeit will nur ich reden, sie eindeutig nicht. Aber ich respektiere es (und beherrsche mich), wenn sie mir so zweifelsohne zu verstehen gibt, dass sie ihre Ruhe haben will.

Ins Gespräch kommen –  so kann es auch gehen

Nach einer Stunde Dauerbeschallung deutscher Pop und immer noch keinem Redezeichen von ihr, reichte es mir aber. Ich ließ mir etwas einfallen, um sie aus der Reserve zu locken. Ich schrieb auch einen Zettel und schob ihn unter der Tür durch: „Wenn du magst, komm in die Küche. Ich habe eine Überraschung für dich.“ Ich hoffte, es würde sie neugierig machen.

Ich habe mir nämlich etwas einfallen lassen, um mit ihr in ein Gespräch zu kommen. Nicht offensichtlich mit „Lass uns mal reden“, sondern so von hinten herum. Es ist zwar Winter und November hat auch ein „r“ (unsere Monate, in denen wir eine Jacke anziehen und kein Eis essen), aber der Tiefkühler musste ohnehin abgetaut werden und die Reste eines tollen Sommers in Form von Eis waren noch darin zu finden. Ausnahmen tun gut. Also bereitete ich ihr eine Portion Eis vor, natürlich die Lieblingseissorten Pistazie und Haselnuss (wieder etwas, das sie von mir hat), dazu noch ein paar Eiswaffeln, bunte Schokokügelchen, ein wenig Schlagobers und Schokosauce. So, wie auch im Sommer. Eis und Sommer gehört einfach zusammen, da sparen wir dann nicht an Kalorien, weil es das ohnehin nicht jeden Tag gibt und der Sommer auch nur kurz ist. Vor mir standen also zwei Eisbecher, die mich an neun unbeschwerte Sommerwochen mit den Kindern erinnerten, voller Abenteuer, Schwimmen, Urlaub und unerträglicher Hitze in der Wohnung.

Wie war das nochmals mit dem Tragetuch?

Da saß ich also in der Küche und wartete. Und wartete. Bis dann doch die Tür aufging und ein verheultes Kind um die Ecke bog. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, hätte sie in den Arm genommen, an mich gedrückt und gefragt, was ist denn los? Aber sie signalisierte, dass sie das nicht will. Das habe ich einfach gespürt und es war richtig. Ich habe sie nur auf den freien Platz neben mir verwiesen und sie nur mit einer Geste eingeladen, Platz zu nehmen. Beim Anblick des Eisbechers strahlte sie ein wenig. Schön, es hat geklappt. Sie nahm also neben mir Platz und ich schrieb einen neuen Zettel: „Wenn du reden möchtest, bin ich da.“ Ich schob ihn einfach zu ihr, sie las ihn und lächelte. Zwischendurch aß sie von ihrem Eis. Es war wie in einer schlechten Serie, wenn der Kummer mit Eis heruntergespült wird und kurz fragte ich mich, ob es denn richtig sei. Mein Bauchgefühl sagte ja. „Weißt du Mama, Buben sind doof“ begann sie leise zu sprechen, während erneut Tränen über ihre Wangen kullerten. Sie war sichtlich gekränkt und verletzt, aber nun bereit, Nähe zuzulassen. Ich nahm sie in den Arm und fragte nach, ob sie mir erzählen möchte, was vorgefallen sei. Und das tat sie. Sie hat einem Buben ihrer Klasse einen Brief geschrieben, in dem stand, dass sie ihn sehr gerne mag. Dazu malte sie ein paar Herzchen. Der Bub nahm den Brief an, machte sich über sie lustig und zerriss ihn. Die einzelnen Stückchen zog sie aus ihrer Hosentasche. Sie war verletzt. Jemand anderer hat ihr das Herz gebrochen und meines gleich dazu. Sie wollte von mir wissen, was sie denn tun kann, damit der Bub sie mag.

Es gibt so Fragen, auf die hat man auch als Mama nicht so schnell Antworten parat. Ich kann schon mal halbwegs schlüssig beantworten, ob Schmetterlinge pupsen können, aber nicht auf alle Fragen finde ich im Internet eine Antwort.

Wir haben uns dann länger darüber unterhalten, wie das ist, wenn man jemanden mag, aber auch, dass man die Gefühle nicht erzwingen kann. Wir kamen in ein gutes Gespräch und ich merkte, wie erleichtert sie schließlich war. Wie in den klassischen Sitcoms haben wir dazu noch die Schokosauce geleert, aber auch hier keine Antwort gefunden. Die Schokolade fragt nicht, sie hilft nur – da gibt es doch so einen ähnlichen Spruch mit Kaffee, oder? (Auch das hat sie von mir).

Ich erinnerte mich daran zurück, dass ich in einem Artikel zur Frage, was nach dem Tragetuch kommt, es irgendwann nicht mehr so einfach ist sich darum zu sorgen, dass wieder alles im Gleichgewicht ist. Als Baby habe ich sie ins Tragetuch gegeben und sie war zufrieden. Meine Nähe, mein Geruch, der Körperkontakt haben ihr das gegeben, was sie brauchte. Ihre Welt war wieder in Ordnung. Gerne hätte ich das auch jetzt gemacht, aber das geht nicht mehr. Wir sind einen Schritt weiter. Sie muss lernen, mit Enttäuschungen umzugehen und es wird nicht das letzte Mal sein, dass ihr kleines Herz gebrochen wurde. Und so wie sie lernen muss damit umzugehen, muss auch ich erkennen, dass ich ihr nicht mehr alles abnehmen kann. Ich kann nur hier sein, ihr zuhören, sie begleiten und auch beim nächsten Mal wieder mit einem Eisbecher auf sie warten.

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