Wie es ohne „Wenn-dann“ gehen kann

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„Wenn du nicht aufisst, bekommst du keine Nachspeise mehr.“

„Wenn du jetzt nicht aufhörst, schicke ich dich aufs Zimmer.“

„Wenn du noch einmal in die Lacke hüpfst, gehen wir nicht auf den Spielplatz.“

„Wenn du jetzt brav bist, darfst du am Abend noch fernsehen.“

Wenn-dann-Sätze kommen Eltern leicht über die Lippen. Auch wir sprechen uns nicht frei davon. Aber warum sind sie so beliebt?

Ganz einfach: Weil sie meistens klappen.

Und weil Eltern dadurch glauben, ihr Kind nicht zu bestrafen, weil sie die Bestrafung/Belohnung ja ankündigen und das Kind so weiß, was ihn erwartet. Kinder erfahren so schon die Konsequenz für ihr Verhalten – doch müssen Kinder Konsequenz lernen?

Nein.

Konsequenzen sind natürliche Reaktionen auf alltägliche Dinge.

Konsequenzen muss ich nicht extra ankündigen.

Das Kind wird sie durch Erfahrung lernen.

Konsequenzen lernen Kinder überall.

Wenn-dann sind keine logischen Konsequenzen.

Auch, wenn das viele Eltern glauben.

Wieviele Wenn-dann-Sätze verwendest du?

Ist es nicht komisch, dass sich darüber keiner mehr wundert?

Und keiner hinterfragt, was Wenn-dann mit unseren Kindern macht?

Selbst hinter „Wenn du deine Zähne nicht putzt, bekommst du nichts Süßes mehr“ steckt eher eine Erpressung, als eine logische Konsequenz. Wir wollen mit diesen Formulierungen unsere Kinder dazu bringen, etwas zu tun oder sich so zu verhalten, wie wir es uns wünschen. Die Konsequenz wäre nämlich, dass das Kind mit nicht geputzten Zähnen ins Bett. Dass es keine Süßigkeiten mehr bekommt, haben sich die Eltern ausgedacht, damit das Kind doch noch zur Zahnbürste greift.

Ob du es nun Strafe oder Konsequenz nennst: Mit Wenn-dann-Sätzen ziehen wir an unseren Kindern herum und erhoffen uns ein bestimmtes Verhalten. Es erinnert an Erpressung.

Aber kann es auch ohne Wenn-dann gehen?

Schließlich müssen Kinder doch irgendwann lernen, was geht und was nicht.

Es geht.

Auch ohne Wenn-dann.

Manchmal sind es klare Ansagen, die ausreichen:

„Hör auf den Becher umzuschütten“.

„Jetzt bitte hör auf mit dem Sand zu werfen.“

Es fällt auch mir unglaublich schwer mich von diesem Muster zu verabschieden, weil ich selbst damit aufgewachsen bin und diese Floskel verinnerlicht habe. Immer wieder ertappe ich mich dabei und besinne mich dann darauf zurück, dass ich ohne Wenn-dann auskommen will. Auch, wenn es manchmal anstrengender ist.

Wenn auch mit mehr Aufwand und immer vor dem Hintergrund des jeweiligen Entwicklungsstadiums des Kindes. Um Konsequenzen verstehen zu können, braucht es Empathie. Erst Kinder ab etwa 4 Jahren entwickeln Empathie und damit die Fähigkeit, sich in jemand anderen hineindenken zu können. „Lisa, wenn du jetzt nicht aufhörst den Tim mit Sand zu bewerfen, dann gehen wir nach Hause“ ist für ein Kind unter 4 Jahren noch nicht fassbar, weil es sich nicht in Tim hineinversetzen kann. Es weiß nicht, dass der Sand in den Augen wehtut oder es Tim unangenehm ist.  Es ist nicht in der Lage, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und kann daher eine Konsequenz auch nicht absehen oder verstehen. Vielleicht gibt es für Lisa eine andere Möglichkeit zu erforschen, wie Sand fliegt? Zu viele Einschränkungen würden auch den Entdeckerdrang des Kindes einschränken, obwohl wir uns im Schulalter offene und lernbegeisterte Kinder wünschen. Diese Eigenschaft ist jedoch angeboren und muss nicht erst im Schulalter erworben werden.

Bevor der Alltag von „Nein“ und „Wenn-dann “ geprägt ist, sollten sich Eltern die Frage stellen, was ihnen wirklich wichtig ist und welche „Grenzen“ es geben soll. Wenn es etwa um die Sicherheit des Kindes im Straßenverkehr geht, geben Eltern den Weg vor – sie übernehmen die Führung: Etwa an der Hand gehen, sich am Kinderwagen anhalten, nicht davonlaufen oder im Kinderwagen sitzen. Warum? Weil es viel zu gefährlich wäre, wenn das Kind selbst erfahren würde, was passiert wenn es auf die Straße läuft.

Wenn-dann ist nicht mehr als eine vermeintlich pädagogisch wertvolle angekündigte Strafe unter dem Deckmantel der Konsequenz. Dabei wird sie nicht nur für logische Situationen angewendet, etwa: Wenn es draußen kalt ist und du keine Jacke anziehst, dann wird dir kalt. Das wird das Kind ohnehin schnell merken. Diese Folge würde es ohnehin erfahren, es ist eine „logische Konsequenz“. Das Problem ist ein anderes: Heute wird das „Wenn-dann“-Konstrukt dafür verwendet, die Kinder zu erpressen bzw. sie zu bestrafen oder ihnen ein Verhalten anzugewöhnen, das wir uns wünschen. Vielen Eltern ist dieser Missstand gar nicht bewusst, denn Konsequenzen sind doch wichtig und sie meinen, ihren Kindern damit etwas Gutes zu tun. Wir sollen doch unseren Kindern die Verantwortung für ihr Handeln übertragen und sie Erfahrungen machen zu lassen, oder? Was ist daran also falsch? Bei den logischen Konsequenzen geht es um natürliche Konsequenzen und nicht um welche, die Eltern vorgegeben oder sich ausgedacht haben.

 

In allen Situationen ist es aber ratsam sich zu fragen, welches Bedürfnis hinter diesem vermeintlich „unerwünschten Verhalten“ steckt und versuchen, eine Alternative zu finden. Kann das Zähneputzen einfach aufgeschoben werden? Möchte das Kind nur gehört werden und als Feedback bekommen, dass du es gehört hast? Ist es einfach kindliche Neugier und Wissbegierde? Oder ist es ein Suchen nach Aufmerksamkeit? Kann Lisa nicht vielleicht doch den Sand erforschen, ohne dabei ein anderes Kind zu erwischen?

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