„Die neuen Medien machen den Kindern das Recht auf rote Bäckchen streitig“

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…. schreiben Renz-Polster und Hüther in ihrem Buch „Wie Kinder heute wachsen“. Die digitalen Medien sind aus unserem Leben und so auch aus dem Leben unserer Kinder nicht mehr wegzudenken. Doch viele Eltern fragen sich und sind beunruhigt, ab wann Kinder denn unbedingt den Umgang mit den Medien erlernen sollen, was sinnvoll ist  und auch, wie sie ihr Kind vor Übergriffen im Netz schützen können. Und was tun wir mit den Kindern, die den ganzen Tag vor dem Computer sitzen? Auch darauf haben wir eine Antwort.

Computer und Tablet für Kinder unter 2 Jahren

Viele Einrichtungen wie Krippen und Kindergärten werben mit einem Computer in der Gruppe, der den Kindern den Umgang mit den digitalen Medien spielerisch von Beginn an beibringen soll. Eine hohe Medienkompetenz, aber auch Vorteile beim Spracherwerb werden als Ziel formuliert. Doch was sagen Experten dazu?

„Nach fünfzehn Jahren Einsatz der Lern-DCDs à la Baby Einstein und Brainy Baby – mit einem jährlichen Umsatz von über einer Milliarde US-Dollar – sagt die sonst meist gespaltene Medienforschung klar und eindeutig: Die speziell zur kognitiven und sprachlichen Förderung konzipierten Videos bringen die Sprachentwicklung der Kinder nicht voran. Die umfangreichste Studie zu dem Thema belegt sogar das Gegenteil: Je mehr „Einstein“ Kinder unter zwei Jahren schauten, desto schlechter war später ihr Vokabular.“ (Renz-Polster, Hüther: Wie Kinder heute wachsen, S. 128).

Da liegt die Frage, wie denn die Sprache in unsere Kinder kommt und warum es anscheinend nichts nützt, Computerspiele für die Sprachentwicklung einzusetzen.

„Ein erster Hinweis ergibt sich aus Experimenten, in denen Babys verschiedene Sprachen vom Tonband vorgespielt bekommen, die sie noch nie gehört haben. Die Kleinen schenken dem „Lärm“ nicht einmal ein Quäntchen Aufmerksamkeit – selbst dann nicht, wenn sie das Kauderwelsch regelmäßig hören! Lässt man sie aber immer wieder mit fremdsprachigen Personen spielen, so ändert sich das: Die Kleinen werden immer aufmerksamer und lernen, die in der jeweiligen Sprache verwendeten Lauteinheiten zu unterscheiden!“ (S. 129).

Es geht bei der Sprachentwicklung wie bei vielen anderen Bereichen um eine Beziehung, die entsteht und aufgebaut wird – es geht um Interaktion, um ein soziales Netz rundherum. Kinder folgen den Augen der Eltern, sie hängen an ihren Lippen, die schauen ihnen nach, um die Bedeutung zu erfassen – das alles kann ein noch so gut gemeintes Computerspiel oder eine DVD nicht bieten. Es findet keine Beziehung statt.

Lernapps für Smartphone und Tablet

Ob per Lesestift, der vorliest, singt und Geräusche macht, oder ob es Apps am Smartphone oder Tablet sind –  die Beschäftigung mit einem elektronischen Gerät als Teil einer Medienerziehung  ist heute nicht mehr Lückenfüller auf langen Autofahrten, sondern Teil eines pädagogischen Konzepts und mitten in unserem Leben angekommen.

„Eine Krippe, die mit solch einem digitalen Lerncenter wirbt, muss sich keine Fragen stellen lassen – nein, sie gilt als besonders innovativ. (…) Und man betreibt auch keinen Medienkonsum, sondern bildet die Kleinen. Spielerisch natürlich.“ (S. 133).

Und wer fragt noch danach, wie oft die Kleinen hinausgehen? Die Generation „digital native“ ist geboren.  Auf der Strecke bleiben aber Naturerfahrungen, bleibt das Spiel untereinander, das für die Sprachentwicklung und die Entwicklung der inneren Sprache so bedeutsam ist. Wenn es so wichtig wäre, schon Kinder im Krippen- und Kindergartenalter an die digitalen Errungenschaften in Form eines Konzepts heranzuführen um ihnen einen kompetenten Umgang zu ermöglichen, wie bitte schön haben es dann die vielen Erwachsenen geschafft, sich den Umgang mit den (angeblich so komplizierten) Smartphones, Computern etc. anzueignen? Es ist wahrlich nicht so kompliziert, dass Kinder mehr vor dem Computer ihre Zeit verbringen als draußen im Park, am Spielplatz, im Wald oder mit anderen Kindern zusammen. Nicht virtuellen Freunden, sondern realen – zum Anfassen, Streiten und wieder Versöhnen.

„Die neuen Medien machen den Kindern das Recht auf rote Bäckchen streitig. Ja, Kinder bekommen vielleicht auch vor dem Bildschirm rote Bäckchen. Nur: Sie sitzen dort dann oft so viel und gern, dass sie weniger rauskommen, sich weniger bewegen, weniger Wind, Wetter und Sonne bekommen. Das aber sorgt für die roten Bäckchen, die die Kinder besser schlafen lassen, die sie weniger zappelig werden lassen, die ihren Gefühlshaushalt im wahrsten Sinne des Wortes entlasten.“ (S. 148)

Alles schlecht, oder wie? Vom kreativen Einsatz der Medien

Nein, natürlich nicht – oder wie Renz-Polster und Hüther schreiben:

„Keine Synapse dort drinnen in dem wachsenden Gehirn macht Zick statt Zack, bloß weil ein kleines Kind ab und zu mal ein Smartphone in die Hand bekommt.“

Solange es an elementaren Erfahrungen nicht mangelt und es ein gutes Beziehungsgerüst gibt, spricht nichts gegen den Einsatz von Medien, um etwa über lange Autofahrten hinwegzutrösten oder das Kind kurz abzulenken. Werden Kinder aber (täglich) im Kinderwagen sitzenddauerbeschallt und mit Spielen auf dem Smartphone „ruhig gestellt“, dann ist fraglich, wie förderlich dieser Weg ist und ob es für das Kind nicht spannender wäre, direkte Ansprache zu erfahren, Erzählungen zu lauschen und gemeinsam den Weg zu entdecken. Die Dosis macht letztendlich das Gift.

Das Leben eines Klein- und Kindergartenkindes wird durch die neuen Medien weder reicher und spannender laut Renz-Poslter, im Ggeenteil: denn viele für diese Lebensphase wichtigen Entwicklunggschritte funktioniere nur im Kontext einer Beziehung.

Die neuen Medien bringen aber auch jede Menge neue Möglichkeiten: So können Fotos bearbeitet werden, Bilder ausgedruckt, Informationen gesammelt, eigene Spiele hergestellt werden und das nur mit ein paar Klicks im Internet. Wer die neuen Medien als Ergänzung zum Alltag sieht und so auch schnell mal im Wald nachschauen, wie denn dieser Baum heißt , lebt einen sinnvollen Umgang mit den Medien vor, von dem dann auch ältere Kinder profitieren, wenn sie selbst ihre ersten Schritte im Netz machen.

Das erste Referat meiner Tochter – Medien ab dem Schulalter

Bereits in der ersten Klasse Volksschule begann meine Tochter sich im Internet zu bewegen. Nicht nur, dass sie als Einzige in der Klasse am Leseprogramm Antolin teilnehmen durfte, meldete sie sich auch freiwillig für ein Referat über Bienen. Unser erster Weg führte zwar in die Bücherei und wir haben etwa 4 Bücher ausgeliehen, die als Grundlage für ihr Referat dienten. Wir haben Bienen auf der Wiese beobachtet, haben sie fotografiert, haben einen Bienenstock besucht und waren auf den Bienentagen im Rathaus. Als es dann ans Plakat und Handout ging, kamen der Computer und das Internet zum Einsatz: Sie tippte ihr Handout alleine ab und suchte dann Bilder im Internet, die dazu passen.

Ab dem Schulalter kann es für Kinder durchaus interessant sein, mit den Möglichkeiten der neuen Medien in Kontakt zu kommen – das muss nicht gleich das eigene Smartphone sein und es braucht auch Begleitung und Unterstützung der Eltern. Die kreativen Möglichkeiten sind einer erster Schritt. Die Neuen Medien können Spaß machen, können Freude bereiten – und dagegen ist nichts einzuwenden, oder?

Wie ist das mit Spielen?

Computerspiele sind bei Kindern (und Erwachsenen) sehr beliebt, sie haben jedoch mit der ursprünglichen Form des Spielens, nämlich das freie Spiel, das Kinder sich selbst organisieren, nichts mehr gemein. Dabei ist das Spiel der Ursprung der Entwicklung und unabdingbar. Und auch ein Vergleich mit dem Rollenspiel entspricht nicht dem, was das Rollenspiel eigentlich ist. Das Spielen in unstrukturierten Welten kann mit dem Spielen in der virtuellen Welt nicht verglichen werden – „draußen“ werden alle Sinne angesprochen, der Körper wird gefordert, es werden Geräusche, Gefühle und Stimmungen wahrgenommen, es wird gespielt, gestritten, und wieder vertragen. In der virtuellen wird einfach weggeklickt und geblockt, wenn man jemanden nicht mehr mag. Einfach, aber nicht nachhaltig und eine Strategie, die so nicht funktioniert.

Verbringen Kinder also zu viel Zeit vor dem Computer und verschanzen sich in ihrer eigenen Welt, dann soll man Renz-Polster zufolge einen Blick auf die Beziehung werfen – wie steht es um die Beziehung zum Kind? Weiß ich, was im Leben meines Kindes passiert?

„Die wichtigsten Dinge im Leben lassen sich nur auf der Basis von Beziehungen regeln. Wo Grenzen für das Zusammenleben nötig sind, funktionieren  sie nur, wenn die Beziehungen funktionieren.“ (S. 156).

Gleiches gilt für die Frage, wenn das Kind nur noch vor dem Computer sitzt und sich nicht mehr an besprochene Zeiten hält. Zwar ist es wichtig, mit dem Kind gemeinsam klare Regeln für den Umgang mit den Medien zu vereinbaren, der Ausgleich mit Bewegung und Angeboten im „real life“ stellt aber einen entscheidenden Faktor dar. Bekommen Kinder genügend andere Möglichkeiten und Angebote, sind die Medien nur ein nebensächlicher Faktor. Ist das Kind bereits in der Medienspirale gefangen, ist es ratsam, gemeinsam Alternativen zu erarbeiten, Helden ins Kinderzimmer zu holen, Angebote zu setzen und an der Beziehung zu arbeiten.

Das Smartphone: Wann brauchen Kinder eines?

Die Frage, wann ein Kind ein Smartphone „braucht“, lässt sich nicht pauschal beantworten. Brauchen wahrscheinlich gar nicht, denn die früheren Generationen haben es auch ohne ständige Erreichbarkeit ausgehalten und die Gefahren haben sich nicht deutlich verändert. Zwar sind Straßen befahrener, aber da hilft dann auch kein Anruf. Es geht eher um die Frage des „Wollens“, wenn der Druck von außen steigt und schon „alle anderen“ ein Handy haben. Diese Frage muss jede Familie individuell klären, doch beim Kauf gibt es ein paar Punkte zu beachten:

  • Tarife recherchieren: Welche Aktivitäten plant das Kind mit dem Handy und welcher Tarif passt dazu?
  • Kostenkontrolle: Vielleicht ein Wertkartentelefon andenken?
  • Mehrwertdienste sperren: Das ist bei einigen Mobilfunkanbietern möglich und erspart überraschende Kosten
  • App-Käufe deaktivieren: Der Unterschied zwischen Spielgeld und echtem Geld ist für viele Kinder noch nicht klar. Daher können App-Käufe gesperrt werden.
  • Das Kind kontrollieren? Es gibt Apps, die ein anderes Handy orten können. Ob dies sinnvoll ist oder nicht, müssen die Eltern entscheiden. Keinesfalls sollte dies heimlich gemacht werden, denn das Vertrauen zum Kind leidet sonst.

Soziale Netzwerke  – Facebook & Co.

Möchte sich das Kind einen eigenen Account auf Facebook einrichten, müssen ein paar Dinge im Vorfeld besprochen werden:

  • Datenweitergabe: Das Posten von Adressen, Telefonnummern, Passwörter etc. ist tabu. Über die Risiken der Datenweitergabe im Internet muss das Kind informiert werden.
  • Privatsphäreeinstellungen: Mit dem Kind besprechen, was dabei zu beachten ist.
  • Passwörter: Auch die Auswahl und Bedeutung der Passwörter sollte ein Teil sein, der gemeinsam mit dem Kind besprochen wird und auch sagen, dass diese geheim bleiben.
  • Sich mit dem Kind befreunden: Das kann durchaus sinnvoll sein – nicht um mitzuschreiben, sondern um zu sehen, mit wem das Kind schreibt und in Kontakt ist. Auf unerwünschte Nutzer kann es so schneller angesprochen werden.
  • Fotos im Netz: Ein heikles Thema, gerade dann, wenn es um Kinder geht. Auch hier muss ein sensibler Umgang vorgelebt werden, denn wer ständig neue Fotos vom Kind ins Netz stellt, darf sich nicht wundern, wenn es dies gleich tut. Auf die Gefahren von Fotos im Internet sollte unbedingt hingewiesen werden.

 

Quellen:

Herbert Renz-Polster, Gerald Hüther: Wie Kinder heute wachsen: Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Fühlen und Denken

Sigrid Born: Kinder sicher im Netz: Das Elternbuch (mit Anwendungen)

Handykinderkodex

7 Tipps: Erstes Handy für mein Kind

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