Traditionen und Werte: Gestorben ist man erst, wenn niemand mehr an einen denkt

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Allerheiligen und Allerseelen

Anlässlich des Festes Allerheiligen und Allerseelen haben wir uns als Familie ein paar Gedanken zum Thema Traditionen und Werte gemacht. Während die einen sagen, dass es keinen speziellen Tag braucht zum Besuch auf dem Friedhof und es heuchlerisch wäre, die sonst kaum gepflegten Gräber nun herauszuputzen, ist es für die anderen ein Fixpunkt jedes Jahr und ein Teil der Familientradition. Wir haben bis vor einem Jahr die Tradition weniger gepflegt – nach einem Todesfall vergangenen Jahres ist es ein Teil unseres Familienlebens und etwas, was wir unseren Kindern vermitteln möchten. An die Verstorbenen zu denken und zu trauern kann im Herzen weh tun, aber es kann auch schön sein.

„Mama, was ist eigentlich Allerheiligen?“

Auch wir gehören zu jenen Familien, die nicht nur, aber auch an Allerheiligen und/oder Allerseelen zum Friedhof pilgern – nicht aus Gewohnheit oder weil man es so macht, sondern weil wir es wollen. Und der Bequemlichkeit halber (es haben ja nur die Schulkinder an Allerseelen frei) fahren auch wir schon an Allerheiligen. Wir sind wahrlich nicht jene, die wöchentlich die Gräber besuchen (das wäre auch den Kindern in diesem Alter noch zu viel), doch es hat für uns mit Respekt und Wertschätzung zu tun, zu bestimmten „Anlässen“ und auch zwischendurch die Gräber zu besuchen.

Dieses Jahr kamen zum ersten Mal viele Fragen zum Thema Allerheiligen und Allerseelen. Vielleicht, weil der Friedhofsbesuch nun mit einer Beerdigung eines geliebten Menschen in Verbindung gebracht wird und es mehr als nur ein Besuch eines Grabes ist, wo halt wer liegt, den Herr Bart und ich kannten. Wer den Kindern dieses Fest erklären möchte, muss aber selbst ein wenig darüber wissen. Daher für alle, hier ein kurzer Abschnitt:

Allerheiligen wird jedes Jahr am 1. November gefeiert und ist nicht nur mehr ein kirchlicher Feiertag sondern ein gesetzlicher Feiertag in fast ganz Europa. Allerheiligen wurde in 4. Jahrhundert eingeführt, um allen Heiligen und Märtyrern zu gedenken. Bei der großen Anzahl wäre es unmöglich, allen einen eigenen Tag zu widmen.

Statt an Allerseelen – das eigentliche Fest, an dem aller Verstorbenen gedacht wird – erfolgt der Run auf die Friedhöfe meist am 1. November. Den Blumenhandel freut es und ein regelrechtes Verkehrsaufkommen mit gelegentlichen Staus vor den Friedhöfen lässt sich nicht vermeiden. Die Gräber werden mit Blumen und Kerzen geschmückt – symbolisch meist Crysanthemen und ein Seelenlicht wird entzündet. Gerne wird auch der Allerheiligenstriezel als symbolische Form der Seelenspeisung verschenkt und gegessen. Soweit mal die Theorie, wer noch mehr darüber wissen will, schaut am besten auf der Seite Feiertage Österreich vorbei.

Über die Vergessenen

Es ist uns heute besonders deutlich aufgefallen, dass viele Gräber mit einem roten Kreuz versehen waren – ein Zeichen, dass sich hier niemand mehr um das Grab kümmert. Und es waren wirklich viele. In diesem Ausmaß ist es mir noch nie aufgefallen und ich habe mich gefragt: Was passiert dann nachher? Ich verurteile niemanden, aber ein wenig tut der Gedanke doch weh, dass niemand mehr an der letzten Ruhestätte vorbeikommt. Aus welchen Gründen auch immer: finanzielle Belastungen, keine Nachkommen mehr da oder die Nachkommen sind zu weit weg. Ein wenig hat es für mich aber auch mit vergessen werden zu tun. Das Grab ist die letzte Stelle, an der ich einen lieben Menschen nochmals begegnen kann, ihm etwa erzählen und nahe sein kann. Das hört sich kitschig an, aber ich empfinde es wirklich so.

Wir erzählen am Grab oft von der Arbeit, was es bei uns Neues gibt. Die Kinder erzählen von der Schule oder hinterlassen auch mal eine Zeichnung. Der Satz „kannst du ned owakumma auf an schnell’n Kaffee“ liegt auf der Hand. Es geht nur nicht – trotzdem sind wir einander nahe, auch ohne Kaffee. Hier wurde ein Mensch begraben, der uns unheimlich ans Herz gewachsen ist, den wir geliebt haben, mit dem wir gelacht, geweint und geredet haben, der uns viel bedeutete.

Ich möchte die Chance nicht vermissen, ihn zu besuchen. Und nach den ersten schwierigen Besuchen mit den Kindern ist es auch für sie wichtig geworden. Immer wieder fragen sie, ob wir wieder auf den Friedhof fahren können. Dazu fällt mir immer ein Satz ein, einer der besten, den ich in Lauras Stern (ja, nicht lachen) jemals gehört habe: Wirklich tot ist man erst, wenn niemand mehr an einen denkt. Da steckt doch ein Fünkchen Wahrheit drinnen, oder?

Und wer schon unterm Jahr weniger Zeit für einen Besuch am Friedhof findet, der kann zumindest ein Mal im Jahr diesen Brauch leben. Und auf diese Art den Verstorbenen Respekt erweisen und zeigen, dass sie noch nicht vergessen sind. Sondern nur ein Stück vorausgegangen.

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