Oma erzählt: Erziehung damals und heute!

Oma liest dem Kind aus einem Buch vor.
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Erziehung aus der Sicht einer Oma – was hat sich verändert?

Oft vergessen wir, dass noch vor wenigen Jahrzehnten Kinder unter ganz anderen Umständen groß wurden. Erziehung damals und heute war zum Teil grundlegend anders. Aus diesem Grund haben wir eine Zeitzeugin befragt. Sie ist selbst 3-fache Mutter und 5-fach Oma. Susanne B. hat über 40 Jahre als Lehrerin gearbeitet, viele Erziehungsstile gesehen und selbst miterlebt. Das führt mich gleich zur ersten spannenden Frage:

Was hat sich seitdem du selbst Kind warst und heute in der Erziehung von Kindern verändert?

Was mir gleich als Erstes einfällt ist, dass als ich noch ein Kind war, es ein Makel war Linkshänder zu sein. Mein Vater war eigentlich ein sehr liebenswerter und offener Mensch, aber die Forschung war zu dieser Zeit (Anm. d. Autorin.: 1960er Jahre) anscheinend noch nicht soweit und somit wurden Linkshänder auf die rechte Hand umgelernt. In der Schule war es sogar verboten links zu schreiben. Das Schuhe binden konnte dir ein Rechtshänder auch nicht zeigen und Schuhe mit Klettverschluss gab es noch nicht. Da hat sich also wirklich viel getan, denn heutzutage ist es nicht selten, dass Kinder mit der linken Hand schreiben. Es gibt eigene Stifte, Scheren, Computermäuse. Das ist großartig. Ich kann mich gut erinnern, dass ich mich aufgrund meines Linkshändertums immer als fehlerhaft gefühlt habe und auch von vielen Seiten so behandelt wurde.

In meiner Kindheit waren die Umgangsformen zwischen Kindern und Erwachsenen auch ganz anders.“

Wenn ich zum Beispiel bei meiner Großmutter war und sie hatte ihre Damen-Handarbeitsrunde zu Besuch, dann musste ich zu jeder Dame hingehen, ihnen die Hand küssen und einen Knicks machen. Das liest man Kindern heutzutage, wenn nur aus Büchern, vor und sie finden es lustig.

Das nächste was mir einfällt ist ein Spruch, der heute kaum mehr in einer modernen Familie zu hören ist „Was auf den Teller kommt, das wird gegessen!“ Damals war es aber in den meisten Familien wirklich so, dass die Kinder aufessen mussten und wenn sie es nicht taten wurden sie als „schlechte Esser“, böse oder undankbar bezeichnet. Das hatte sicher viel mit den Erfahrungen und der Nahrungsmittelknappheit während des 2. Weltkrieges zu tun.  Dennoch war es für mich als Kind furchtbar, dass ich aufessen musste. Heute wird Essen angeboten, es wird aber nicht verlangt, dass Kinder es auch aufzuessen haben.

„Ganz allgemein gesagt war Erziehung in meiner Kindheit noch viel reglementierter und strenger. Da hat sich sehr viel getan.“

Hat es nicht auch große Veränderungen hinsichtlich des Respekts Kindern gegenüber gegeben?

(Es gibt ja auch seit 1989 die Kinderrechtskonvention, die von fast allen Staaten weltweit unterschrieben wurden.)

Das auf jeden Fall. Damals wurde von Kindern erwartet, dass sie „brav“, angepasst und gehorsam sind. Heute ist es am wichtigsten, dass Kinder „Kind sein dürfen“, auch wenn sich Eltern freuen, wenn ihre Kinder „pflegeleichter“ sind.

Es kommt mir auch vor, dass zu meiner Kindheit Strafen viel „normaler“ waren in der Erziehung und gesellschaftlich akzeptierter. Es war zum Beispiel keine Seltenheit, dass Kinder eine Ohrfeige bekommen haben.

Die Schule war für mich immer ein Problem. Für meine Mutter galt nur ein „Sehr gut“ als Note. Und wenn ich mal mit einem Zweier nach Hause kam, tobte sie. Das war ein sehr ungutes Gefühl für mich und ein großer Druck.

Durch die oft sehr autoritäre Erziehung, wurden viele Kinder dazu angeleitet zu lügen und Sachen zu verheimlichen. Aber nicht nur negative Ereignisse, sondern auch Wünsche und Ängste wurden nicht an die Eltern weitergegeben.

„Ich wäre NIE auf die Idee gekommen, einen besonderen Wunsch auszusprechen. Bei meinen eigenen Kindern war das dann schon ganz anders.“

Die haben aus jedem Urlaub ein kleines Geschenk bekommen und es wurde bereits lautstark mitgeteilt was sie sich wünschen und wieviel davon.

Inwiefern waren Alltag bzw. die Tagesabläufe anders als heute?

Ich weiß nicht, ob das in meiner Familie speziell war, aber es wurde sehr viel Wert auf Ordnung gelegt. Meine Mutter hat mindestens 1x am Tag einen Rappel bekommen und wir mussten das Kinderzimmer aufräumen. Alltagshandlungen wie Einkaufen und Kochen waren viel aufwendiger als heutzutage, wo man sich schnell ein Fertiggericht in die Mikrowelle schieben kann, wenn man keine Zeit oder Lust hat zu kochen. Auch Lieferservices gab es nicht. Meine Mutter hat jeden Tag mindestens 1x gekocht. Meistens hat sie auch noch für den nächsten Tag vorgekocht. Auch Geschirr abwaschen und trocknen, sowie die Wäsche zu waschen war immens viel Arbeit. Das hat natürlich auch zu einer gewissen Überforderung geführt bei meiner Mama und ihre Geduld uns gegenüber war dementsprechend gering. Den Haushalt zu führen vor 50 Jahren war viel schwieriger als heute. Es gab ja auch viel weniger Hilfsmittel.

„Ich glaube, die Kinder damals mussten viel mehr funktionieren und mittun als heute.“

Die Kinder damals wurden vermutlich auch nicht gefragt, was sie gerne essen wollen oder?

Nein, das gab es damals nicht. Wir haben das gegessen, was gekocht wurde. Und auch das Zwischendurch-Essen wie heute, dass den Kindern, weil sie „Hunger“ schreien geschwind ein Kipferl beim Bäcker gekauft wird, war sehr selten. Genauso war es mit Süßigkeiten: Als ich ein Kind war, gab es Süßigkeiten zu Weihnachten und zu Ostern. Das war etwas Besonderes und nichts Alltägliches wie heute.

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Dasselbe gilt für Geschenke. Die gab es zum Geburtstag und zu Weihnachten. Ein paar Jahrzehnte später, bei meinen eigenen Kindern, war das schon ganz anders. Das hat viel mit der wirtschaftlichen Situation zu tun gehabt. Den Menschen ging es in der Nachkriegszeit noch relativ schlecht. Erst nach 10-20 Jahren haben sie sich finanziell erholt und die Bevölkerung konnte sich immer mehr leisten. Nun heißen wir Konsum- und Überflussgesellschaft!

Wie siehst du den heutzutage oft verbreiteten „laissez-faire“ Erziehungsstil bzw. dass Kindern immer mehr Autonomie und Freiheiten zugestanden werden?

Ich finde es gut, dass Kinder in Entscheidungen eingebunden werden und ernst genommen werden. Ich nehme meine Enkelkinder auch ernst und liebe es ihre Meinung zu hören. Dennoch habe ich oft das Gefühl, dass vor allem auch sehr kleinen Kindern manchmal zu viele Entscheidungsfragen gestellt werden, die oft überfordernd für sie sind.

„Wir dürfen bei dem Versuch den Kindern auf einer Respektebene zu begegnen nicht vergessen, dass WIR die Erwachsenen sind und die Verantwortung für die Entscheidungen übernehmen müssen.“

In vielerlei Hinsicht haben es Eltern heutzutage schwerer als ich noch klein war.

Wieso meinst du haben es Eltern heutzutage schwerer als früher?

Weil sie weniger auf ihre Intuition, ihr Bauchgefühl, hören. Auch meine Eltern, auch wenn sie autoritärer waren, wollten stets das Beste für ihre Kinder und haben auch in diesem Gewissen gehandelt. Der Unterschied war, dass sie sich dabei sicherer waren und ihre Entscheidungen nicht ständig hinterfragt haben. Eltern heutzutage lesen viele Ratgeber und lassen sich sehr schnell verunsichern. Ich finde es toll, dass es schon so viel Lektüre zum Thema „Erziehung“ gibt, aber Eltern wissen oft gar nicht mehr, was ihr Gefühl ihnen sagt. Und genau darum geht es doch oder?! Die Entscheidungen für seine eigene Familie zu treffen. Da kann dir kein Buch die richtige Antwort geben.

Du meinst also, dass zu viel Information für die Eltern heutzutage verwirrender sein kann als hilfreich?

Genau. Als ich mit meinem ersten Kind schwanger wurde, war ich einfach nur glücklich und habe mich darauf gefreut. Das Stillen hat nicht funktioniert, das war traurig, aber ich habe es angenommen wie es war. Heute gibt es einerseits tausend Möglichkeiten sich Hilfe zu holen und andererseits können zu viele Meinungen und Zugangsweisen auch verunsichern. Mir fallen da gleich die Themen Geburt, Stillen, Zufüttern, Beikost, Babyschlaf, etc. ein.

„Oft habe ich das Gefühl, Eltern verpassen den Moment, während sie versuchen alles richtig zu machen.“

Sind Kinder heute anders?

Kinder nicht, aber die Rahmenbedingungen. Die Digitalisierungs- und Informationsflut ist sicher eine große Herausforderung im Leben mit Kindern. Heutzutage müssen sich Eltern gegen Handys, Tablets, Laptops, Nintendos und wie sie noch alle heißen „auflehnen“ bzw. ihre Kinder regelrecht zwingen raus ins Freie zu gehen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich Kinder durch dieses permanente „unterhalten-sein“ über die Jahrzehnte verändern. Aber das werden wir erst dann wissen.

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Was mir noch eingefallen ist, ist, dass Eltern früher noch mehr direkt mit den Kindern gespielt haben. Heute erledigen das oft der Fernseher oder das Handy. Wir haben im Urlaub stundenlang Karten gespielt. Gibt es das heute noch oft?

Was würdest du der heutigen Generation Eltern als Rat mitgeben? Was braucht es in der Zukunft?

Das klingt jetzt abgedroschen, ist mir aber am wichtigsten. Genießt es! Jeden Tag! Denn diese kleinen Frösche werden so schnell groß. Und die Zeit gibt dir niemand zurück. Niemals. Das kommt mir aus dem Herzen. Und seid selbstbewusst! Hinterfragt nicht alles und gesteht euch auch einmal zu, dass ihr einen schlechten Tag oder einen Fehler gemacht habt. Aber am wichtigsten: Genießt es!

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