Hyperaktive Eltern: Vom Gefühl, immer etwas tun zu müssen

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Ich kann nicht nichts tun. Irgendetwas ist bei mir immer in Bewegung. Auch wenn ich sitze, dann wippen meine Füße im Takt zur Musik mit. Oder zumindest die Zehen. Ich bin ein unruhiger Geist, der immer etwas tun muss. Meine Gedanken kreisen um neue Blogartikel, um neue Stoffe, die ich gerne noch kaufen würde oder neue Bastelideen für die Kinder.

Eltern unter Strom und Druck

Seitdem ich Kinder habe, habe ich noch mehr das Gefühl, ständig irgendetwas tun zu müssen: Etwas ganz Außergewöhnliches, Ausgefallenes, Besonderes. Zumindest empfinde ich es so und meine Erfahrung mit anderen Eltern zeigt, dass ich damit nicht alleine bin. Ich habe das Gefühl ständig von Eltern umgeben zu sein, denen die Förderung ihres Kindes besonders am Herzen liegt und die deshalb von Kurs zu Kurs hetzen. Ich fühlte mich schlecht dabei, wenn ich keinen ausgeklügelten Förderplan für 0-12 Monate aufweisen konnte.  Irgendwie hatte ich das Gefühl, wir müssten das auch so machen und so packten wir das „Projekt Baby“ an: Um 8 Uhr morgens an einem Sonntag auf einem Spielplatz trifft man sonst niemanden als andere Eltern. Oder Pensionisten, die mit ihrem Hund spazieren gingen. Und wir waren nicht am Spielplatz weil unsere Kinder notorische Frühaufsteher waren, nein: Wir waren so früh am Spielplatz weil wir dachten, wir müssten ihnen möglichst viel Zeit an der frischen Luft schenken und den gemeinsamen Tag als Familie nutzen. Natur tut ja gut und Kinder brauchten möglichst viele Naturerfahrungen. Als Mutter musste ich aber lernen, dass meine Unruhe und mein Drang immer etwas zu tun nicht gut zu meinen Kindern passt.

Ein paar Jahre später waren wir schlauer und zeigten ihnen, wie sie sich an einem Sonntagmorgen ihr Frühstück selbst zubereiten können und wie der DVD-Player funktioniert. Es reicht, wenn wir nach dem Mittagessen noch raus gehen und uns auf diese Weise noch ein paar Minuten mehr Schlaf- und Paarzeit gönnen. Und wenn wir keine Lust auf Unternehmungen haben, dann eben nicht. Dann spielen wir Spiele, wir laden Freunde mit ihren Kindern ein oder wir veranstalten einen gemütlichen Popcorn-Kino-Nachmittag auf der Couch. Nach einigen Jahren Eltern-Sein haben wir gelernt, diese nach außen vermeintlich „schwachen Momente“ (weil keine Förderung und kein supertolles Programm) zu genießen. Wir wurden gechillter und lernten den Begriff „slow parenting“ kennen.

Hyperaktive Eltern

Aber so ganz kann ich meine Marotten dann doch nicht ablegen:

Ich schaffe es nur selten mich einfach mal hinzusetzen und meinen Kindern beim Spielen zuzuschauen. So gerne ich es würde. Denn immer wenn sich die Möglichkeit ergibt nutze ich die Zeit, etwas vermeintlich Wichtigeres zu tun statt mich ihnen zu widmen: Ich lese E-Mails, ich sauge zum dritten Mal am Tag die Wohnung, die putze die Spiegel und wenn sie mich etwas fragen, dann nuschle ich ihnen etwas vom Computer zu. Wenn ich es aber doch schaffe und meinen Kindern einfach nur zuschaue, dann denke ich mir, dass nicht Kinder ein Problem mit der Hyperaktivität haben, sondern eigentlich ich. Ich bin diejenige, die nicht zur Ruhe kommt, die nur wenig Geduld aufbringen kann und ein Problem damit hat, wenn das Kind jeden Kieselstein, Marienkäfer oder Grashalm mindestens 5 Minuten betrachten muss. Und nicht nur ich habe ein Problem mit der Hyperaktivität, sondern auch all die anderen Eltern, die immer das Gefühl haben, ihr Kind beschäftigen, bespaßen und fördern zu müssen und es mit einem „Komm weiter“ oder „Wenn du jetzt nicht mitkommst, dann lasse ich dich hier stehen“ weiterzerren.

Natürlich erfordert diese Erkenntnis eine gewisse Reflexionsfähigkeit. Ich sehe es heute mit Humor wenn mein Mann meint, ich solle mich endlich hinsetzen und nicht wie ein aufgescheuchtes Hendl durch die Wohnung laufen. Es ist aber auch eine Chance, etwas zu ändern und selbst zu mehr Ruhe zu finden (und damit ist nicht der wöchentlich einstündige Yoga-Kurs gemeint).  Als Mama musste ich Vorstellungen über den Haufen werfen, mich von „das-macht-man-so“-Prinzipien verabschieden und mir neue Herangehensweisen überlegen, die zu unserer Familie passen. Nur so schaffte ich es, die Unruhe nicht auf meine Kinder zu übertragen und Ruhe in unseren Familienalltag zu bringen.

Und wenn sich die Kinder mal wieder heimlich mit allen Marienkäfern verabredet haben, dann kann ich mich auf einen Zeitpuffer von gut 20 Minuten verlassen und ihnen die Zeit geben, die sie für ihre Erkundungen brauchen. Es macht mich dann nicht mehr nervös, sondern ich versuche mich von ihner Begeisterungsfähigkeit anstecken zu lassen. Dann dürfen sie mich an der Hand nehmen und mich in eine Welt mitnehmen, die ich schon fast vergessen habe. Denn wenn ich meine Kinder um eines beneide, dann ist es die Fähigkeit, völlig in einer Aktivität zu versinken und alles um sich herum zu vergessen. Und das tut gut.

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