Warum meine Kinder ihr Gemüse stehen lassen dürfen und dennoch einen Nachtisch bekommen

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In unserer Gesellschaft gibt es schon seit geraumer Zeit einen regelrechten Hype um die „gesunde Ernährung“: Superfood, Bio, vegetarisch, vegan, nur noch pflanzliche Milch, saisonal, regional, viel Obst und Gemüse. So positiv das auch sein mag, so hat es einen negativen Beigeschmack: Lebensmittel werden in „gut“ und „böse“ unterteilt. Dabei kommt es doch, wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, auf die Menge an, oder?

Genießen ohne schlechtes Gewissen

Ein Lebensmittel als böse oder schlecht zu bezeichnen schürt in erster Linie nicht ein Bewusstsein für eine gesunde Ernährung, sondern fördert ein schlechtes Gewissen. Und vielleicht auch Angst vor dem bösen Essen. Denn was genau sind die bösen Lebensmittel und warum? Sind es nur Süßigkeiten und Knabbereien, die (nachgewiesen) ungesund sind, oder zählen auch Kuhmilchprodukte, tierische Lebensmittel etc. zu den bösen Nahrungsmitteln? Was darf noch ohne schlechtes Gewissen gegessen werden?

Eine Kategorisierung macht genau das: Das Kind fühlt sich schuldig, wenn es nascht, ein Stück Kuchen isst oder doch einmal einen Eistee getrunken hat. Alles nicht optimal, aber wirklich kein Grund für ein schlechtes Gewissen, oder?

Was ist denn so schlimm daran, sich mal ein Stück Schokolade, ein Stück Torte, ein Eis oder ein paar Chips zu gönnen? Die Dosis macht das Gift! Ob schon ein Baby unbedingt an die süßen Verführungen gewöhnt werden muss, sei dahingestellt. Wenn aber doch einmal ein Stück Kuchen im Mund des Babys landet (vielleicht, weil es die Großeltern besonders lieb gemeint haben?), dann ist das noch kein Grund für einen großen Familienstreit, sondern Anlass, für eine Aussprache und die Chance, einander wieder näherzukommen.

Gönnen wir unserem Kind bei der nächsten Geburtstagsfeier, dass es auch ein zweites oder drittes Stück Kuchen isst.  Oder bei dem Gummizeugs zugreifen darf, bis ihm schlecht wird. Negative Kommentare wie „Jetzt ist aber genug, das ist ungesund“ verderben die Freude und führen zu schlechtem Gewissen. Dafür gibt es solche „Süßigkeiten-Exzesse“ im Alltag dann nicht – das können Kinder gut verstehen und sich auf die nächste Party schon freuen, wenn sie ohne schlechtes Gewissen schlemmen dürfen. Auch wir Erwachsene gönnen uns manchmal etwas (oder essen die Schokolade heimlich) – das darf auch sein, oder? Viele Mütter berichten, heimlich zu naschen, damit ihr Kind sie dabei nicht sieht.  Solange es ein ausgewogener Umgang mit allen Lebensmitteln ist, dürfen auch die ungesunden Lebensmittel genossen werden.

Die Folgen von diesem „gut“ und „böse“ könnten Essstörungen sein, die gerade bei jungen Mädchen deutlich häufiger auftreten. Dann kommen zu den einst süßen Lebensmitteln, die als „böse“ eingestuft werden, noch kohlenhydrathaltige Lebensmittel dazu, bis vielleicht irgendwann jedes Essen böse ist, weil es Kalorien hat. Irgendwann ist dann jedes Essen böse.

Essstörungen haben meist eine tiefe seelische Ursache, die einer speziellen Therapie bedarf – es hat aber auch mit der grundsätzlichen Einstellungen zum Thema Essen und Ernährung zu tun. Essen hat mit genießen zu tun. Und genießen soll man ohne schlechtes Gewissen – auch, wenn es einmal die „bösen“ Lebensmittel (wahrscheinlich Süßigkeiten in den meisten Fällen) sind.

Unsere Kinder nehmen sich an unserem Essverhalten ein Vorbild – nicht nur unser Essverhalten, sondern auch unsere Einstellung zu uns und unserem Körper. Ihnen Dankbarkeit zu vermitteln, das wir das ganze Jahr über frisches Obst und Gemüse haben, ja schon ein Überangebot das zu Übergewicht führt, sollte einen ähnlich hohen Stellenwert haben wie das Wissen über gesunde Ernährung.

Wir müssen nicht hungern – ein Privileg, das nicht alle Menschen auf dieser Erde haben. Ein bewusster Umgang mit unseren Lebensmitteln, egal ob „gut“ oder „böse“, in einem ausgewogenen Verhältnis führt auch dazu, das Essen genießen zu können.

Vorbildwirkung: Die Mama

Vielen Frauen sind mit ihrer Figur nicht zufrieden. Schon gar nicht nach der Schwangerschaft, wo noch überschüssige Kilos die frisch gebackene Mama ein paar Monate beschäftigen. Manche bleiben auch für immer. Wenn wir Mütter uns aber nicht annehmen können, wie können wir es dann von unseren Kindern verlangen? Wie können wir von unseren Kinder erwarten, dass sie sich in ihrem Körper wohl fühlen? Wie können wir dann erwarten, dass sie ohne schlechtes Gewissen essen, wenn wir es nicht tun? Davon haben wir schon in unserem Beitrag „Ich und mein Schwabbelbauch“ geschrieben. Gerade die Mama hat für Mädchen, die öfters an Essstörungen leiden, eine große Vorbildwirkung. Umgeben von Werbung, die uns den perfekten Körper in XXS als das Ideal vorspielt, umgeben von bearbeiteten Bildern, Puppen mit Wespentaille und einem ungesunden Schönheitsideal, brauchen Mädchen starke Mütter und Frauen, die zu ihrem Körper stehen und zu ihrer Figur „Ja“ sagen.

Kinder haben feine Antennen und hören bzw. spüren, ob wir mit uns im Reinen sind. Als ich letztens einmal Hosen anprobierte und vor dem Spiegel stand, kam meine 2-jährige Tochter zu mir und sagte: „Hübsch, hübsch, Mama.“ Und ich habe mich gefragt: Wann habe ich das zu mir gesagt? Es tut uns Frauen und auch kleinen Mädchen gut, solche Kommentare zu hören (auch vom Papa). Und sie dann auch annehmen zu können.

Der Essenskampf

Das Essen wird in vielen Familien „überbewertet“: Es ist ein so wichtiges Thema, das sich Eltern regelmäßig darüber austauschen, wieviel ihr Kind wann gegessen hat, wieviel es wiegt und ob das so richtig ist. Da werden Babys nicht an die Brust gelassen, weil sie gerade erst 150g Brei gegessen haben, da müssen Babys noch 30 Minuten warten, ehe es wieder Zeit für die nächste Mahlzeit ist und nachts wird ihnen das Füttern oder Stillen ohnehin schon mit 6 Monaten abgewöhnt, weil laut Ratgeberliteratur brauchen sie dann nachts keine Nahrung mehr. Da müssen Kinder aufessen, auch, wenn ihnen schlecht ist, da müssen sie Sachen essen, die sie anschließend wieder rauskotzen und da werden sie mit Essensentzug bestraft, wenn sie sich nicht entsprechend verhalten. Warum tun wir unseren Kindern das an, statt ihnen zu vertrauen?

Kinder selbst haben ein gutes Gefühl dafür, was sie brauchen. Wenn man ihnen nur die Möglichkeit gibt, selbst zu entscheiden. Und es ihnen nicht abtrainiert. Isst das Kind einmal einen Tag weniger, machen wir uns gleich Sorgen. Ernährt es sich wochenlang nur von Nudeln, haben wir vor einer einseitigen Ernährung Angst. Und verweigert es Gemüse, hat man den Erziehungsauftrag nicht erreicht. Doch haben wir jeden Tag gleich viel Hunger? Nein.

Essen soll nie ein Kampf oder Druckmittel sein. Weder müssen Kinder aufessen, noch muss ihnen alles schmecken. Sie dürfen die Fisolen stehen lassen, aber dennoch einen Nachtisch essen. Eine gute Einstellung zum Essen und zu seinem Körper zu haben heißt auch, genießen zu lernen. Und dann bitte ohne schlechtes Gewissen.

 

 

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