Wie du dich verhalten kannst, wenn dein Kind lügt

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Letztens las ich im Internet einen Artikel, der mich furchtbar wütend machte. Es ging dabei um Notlügen, die Eltern ihren Kindern auftischen und die angeblich jeder Elternteil kennt. „Ich komme in einer Minute“, „Das Schwimmbad hat heute leider geschlossen“, „Wenn du jetzt nicht aufräumst, dann schmeiße ich alles in den Müll“, „Das tut nicht weh, versprochen“, „Ich gehe ohne dich“ etc.

Mich macht das wütend und traurig zugleich – nicht, weil ich diese Sätze aus meiner Kindheit nicht selber kenne oder frei von Fehlern bin, und nicht das ein oder andere auch schon mal zu meinen Kindern gesagt habe. Es macht mich wütend, weil es so erscheint, als wäre es vollkommen in Ordnung, seine Kinder anzulügen. Doch das ist respektlos.

Es ist in Ordnung zu lügen, wenn man seinen Willen durchsetzen möchte

Genau diese Botschaft nehmen Kinder mit und fangen irgendwann selbst auch an, ihre Eltern anzulügen, ihnen Sachen zu verheimlichen oder die Wahrheit eben ein wenig zu verdrehen.

Dass alle Kinder einmal zu lügen beginnen, auch wenn sie es nicht von ihren Eltern haben, ist ein Lernprozess, der eines zeigt: Das Kind kann sich in eine andere Person hineinversetzen, indem es das sagt, was der/die andere hören möchte. Es ist ein großer Schritt, sich in jemand anderen hineinzuversetzen und zu erkennen, dieses Wissen zu seinem Vorteil ausnutzen zu können. So dauert es gut ein halbes Jahr, da wird wild geflunkert und die neue Fähigkeit getestet. Der Anfang der Empathieentwicklung und auch ein großer Schritt wie das Trotzen oder Sauberwerden.

Kinder lügen auch dann gerne, wenn sich ihre Realität mit ihrer Fantasie vermischt. Wobei das im eigentlichen Sinne nichts mit Lügen zu tun hat. Kinder empfinden es in diesem Moment wirklich so und es bedeutet nur eine ausufernde Fantasie.

Doch all das sind keine Gründe, dass ich meinen Kindern gegenüber nicht offen und ehrlich bin – denn nur so kann eine vertrauensvolle Beziehung entstehen.

Über den Umgang mit Lügen

Während man den Fantasielügen weniger Aufmerksamkeit schenken sollte und sich auch mal auf dieses Abenteuer und in den kindlichen Bann ziehen lassen kann, sind Eltern angehalten näher hinzuschauen, wenn Kinder lügen, um einer Strafe zu entgehen. Hier könnten sich Eltern fragen, ob ihr Verhalten immer angemessen ist. Denn wenn ein Kind die elterliche Reaktion fürchtet, wird es eher lügen, um eine Strafe abzuwenden. Wächst ein Kind aber in einer offenen Atmosphäre auf, wird es auch weniger Motive haben zu lügen, wenn es auch keine Angst vor Strafen haben muss. Das heißt natürlich nicht, dass jedes Verhalten ohne Konsequenzen bleibt – trägt das Kind die Verantwortung für sein Handeln und sind ihm die Konsequenzen bewusst, wird es von einer Strafe nicht überrascht und gedemütigt.

Kinder lügen auch vermeintlich dann, wenn ihnen der Zusammenhang fehlt. Das ist mir letztens erst passiert, als ich Frau Schnecke fragte, warum sie ihre Schwester denn geschubst hätte. Nur lag schon einige Zeit dazwischen und sie meinte, dass sie es nicht wüsste. Ich habe mich dann dazu entschieden nicht weiter nachzubohren, denn es wirkte nicht wie eine Lüge auf mich, sondern es war ernst gemeint.

Auch um sich besser ins Licht zu rücken geben Kinder gerne an und schmücken das ein oder andere Erlebnis ein bisschen aus. Entweder um bei Freunden besser anzukommen, oder weil es das Gefühl hat, nicht so angenommen zu werden, wie es ist. Wenn dies oft auftritt, können Eltern auch hier schauen, ob sie denn zu häufig loben.

Die Welt ist voller Lügen

Machen wir uns nichts vor, die Welt ist voller Lügen, die gesellschaftlich beinahe akzeptiert sind: Ein „Oh danke, der Pulli ist aber schön“ (und in Wirklichkeit empfindet man ihn als ganz furchtbar) ist angebrachter als zu sagen: „Was soll ich denn mit dem? Der ist furchtbar!“

Es geht in erster Linie darum, Kindern zu vermitteln, dass Notlügen in manchen Punkten auch notwendig sind. Das gibt Eltern aber nicht das Recht ihr Kind in dem Glauben zu lassen, noch über etwas nachzudenken, obwohl die Sache schon fix ist.

Lügen finden aber auch im Familienleben statt:

Statt damit zu drohen das Spielzeug wegzuschmeißen wenn jetzt nicht sofort und augenblicklich aufgeräumt wird, wäre es ehrlicher zu sagen, dass mich die Unordnung stört. Zwar wirkt der „schwarze Sack“ als Druckmittel wirklich hervorragend. Und ich ließ mich aufgrund eines Tipps einmal dazu hinreißen, ihn einzusetzen. Konsequent. Ich fühlte mich so schlecht dabei. Die Kinder schrien und weinten und ich hatte das Gefühl, sie sind jetzt gerade total klein und machtlos. Wollte ich so sein? Nein. Stattdessen habe ich mich am nächsten Tag entschuldigt, sie bekamen ihre Spielsachen zurück und ich habe ihnen gesagt, dass mich diese Unordnung bei ihnen total stört. Gemeinsam haben wir dann begonnen, das Zimmer nicht nur auszumisten, sondern sie haben angefangen, ihre eigene Ordnung zu finden. Und seitdem ist es deutlich besser (als Chaosmensch erwarte ich keine Perfektion).

Besonders schlimm finde ich auch „Wenn du nicht mitkommst, lasse ich dich stehen“. Gerne hören diesen Satz kleine Kinder im Alter von 2-3 Jahren, die von ihren Eltern zu 100% abhängig sind. Was sollte das Kind denn machen als aus Angst und Panik hinterherzulaufen? Doch möchte ich mein Kind so bewegen, bei mir zu bleiben? Möchte ich es mit seiner Urangst erpressen? Natürlich klappt es, das Kind wird angelaufen kommen. Es wird aber auch das Gefühl der Angst, Panik und des Verlassen-Werdens kennenlernen. Ich habe einen anderen Weg für uns gefunden. Viel besser klappt es, wenn ich sage: „Wir bleiben bitte alle zusammen. Und ich möchte, dass auch du mitkommst“. Und wenn es nicht anders geht, dann wird es auch mal getragen.

Gut ist mir auch der Satz meiner Mutter in Erinnerung. Ich könne ihr ruhig die Wahrheit sagen, sie wird nicht böse und ich bekomme keinen Ärger. Das habe ich nur einmal gemacht. Wenn mich Frau L. fragt „Schimpfst du dann eh nicht?“, dann sage ich nicht „Nein, warum denn? Du kannst mir alles sagen“, sondern ich erkläre ihr, dass ich es ihr nicht versprechen kann, weil ich nicht weiß, was passiert ist. Aber ich kann ihr versprechen, dass ich ihr zuhöre und für sie da bin. Dann werden wir gemeinsam überlegen.

Das sind nur ein paar der Lügen, die wir Erwachsene unseren Kindern gerne auftischen, meist unreflektiert oder sogar bewusst, weil uns damit vermeintlicher Erziehungserfolg blüht. Es fühlt sich aber nicht richtig an, das Kind damit zu erpressen oder zu einem Verhalten zu bewegen, das mir gefällt. Genauso wie beim Loben. Respekt fängt schon bei der Sprache an und bei dem, was wir sagen. Ich stelle mich jetzt nicht mit dem Heiligenschein hin und sage: Mir passiert das nie. Nein, auch das wäre eine Lüge. Aber ich kann an mir arbeiten und versuchen, mich zu bessern.

Wie gehst du mit Notlügen um?

Deine Anna

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