Mit Kindern über Terror reden

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Als ich heute Vormittag die Nachrichten im Radio hörte, war ich geschockt. Terror in Paris. Wieder ein Anschlag und unzählige Tote. Ich kann es selbst nicht verstehen. Zu dieser Zeit sitze ich gemeinsam mit Herrn Bart beim Frühstück im Hotel nach einem Wellness-Auszeit-Eltern-Tag. Während wir gestern Abend im Wasser plantschten, starben woanders unschuldige Menschen.

 

Mama, was passiert in meiner Welt? -Wenn Kinder nach dem Terror fragen

Die Kinder, die eigentlich zwei lustige Tage mit ihren Großeltern verbringen sollten, sich verwöhnen lassen, in alten Büchern schmökern und Schallplatten hören, kamen mit betrübten Gesichtern zu Hause. Zumindest die beiden Großen, die von dem Terror in Paris vergangene Nacht mitbekommen haben. In allen Medien war von den schrecklichen Attentaten zu hören und zu lesen – Kinder davor zu schützen, kaum möglich. Zwar achte ich immer darauf, welche Teile der Zeitung sie lesen und schränke ein, was sie im Radio oder Fernsehen hören und sehen (keinesfalls die Nachrichten derzeit), doch diese Meldung machte die Runde in allen Bereichen ihres Lebens: Im Supermarkt, in der Kirche, in der Apotheke – überall war der Terroranschlag in Paris Thema.

Die Frage, was hier passiert sei, überfordert auch mich, denn was soll ich antworten, wenn ich es selbst nicht verstehe? Was kann ich meinen Kindern zumuten und ihnen sagen? Ich kann ihre Fragen nicht unbeantwortet lassen, denn die Kinder spüren, hier ist etwas Schreckliches passiert. Etwas, dass sie noch nicht begreifen, etwas, dass ihre Vorstellung übersteigt. Etwas, dass sie verunsichert, dass sie nicht einordnen können. Die Fragen sprudeln nur so aus ihnen heraus: Warum das passiert ist? Wer das war? Wieso niemand geholfen hat? Wieviele sind gestorben? Kann das auch bei uns passieren? Kommt der Krieg auch zu uns? Und und und.

 

Doch geht es dabei nicht um viel mehr?

Es geht dabei nicht nur um den Anschlag von Paris, es geht um das Thema Krieg, das vor Kindern verschwiegen wird. Auch mit gutem Grund meiner Meinung nach, denn auch ich möchte nicht, dass meine Kinder in Angst aufwachsen und das Gefühl haben, hilflos zu sein. Und dennoch wird jedes Kind mit dem Wort Krieg etwas Böses verbinden – auch, wenn sie noch nicht wissen, was es genau bedeutet. Es wird wissen, dass es eine schlimme Sache ist, ein schlimmer Umstand. Woher das kommt? Vielleicht davon, wie wir Erwachsene das Wort Krieg benutzen und in welchem Kontext es gesagt wird, mit welchem Tonfall etc. Was sie nicht wissen ist, welche Bedeutung das Wort Krieg in ihrem Leben haben wird – auch ich weiß das nicht (und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bekomme ich es mit der Angst zu tun).

Solange es noch keinen „Anlass“ gab, war auch ich darum bemüht, meine Kinder in dem Glauben zu lassen, der Krieg findet nur woanders statt. Nicht bei uns. Für uns besteht keine Gefahr. Doch das Blatt hat sich gewendet: Bis jetzt haben wir das Thema Krieg im Kontext der Flüchtlingskrise zwar angesprochen, doch auch wir spüren, dass es in unserem Leben eine größere Rolle einnehmen wird. Wir können und wollen es nicht mehr totschweigen, wenn es um uns herum bereits Realität ist. Wer, wenn nicht wir als Eltern sollten unsere Kinder dann begleiten und ihnen zur Seite stehen, ein offenes Ohr für sie  haben und ihnen schwierige Themen erklären? Kinder haben meiner Meinung nach ein Recht auf die Wahrheit: So wie sie auch davon erfahren, dass in anderen Ländern die Menschen Hunger leiden und Armut herrscht, sollen sie auch wissen, dass es Krieg gibt. Nichts davon ist von uns so wirklich weit weg – Armut und Hunger findet jeder auch vor seiner Haustüre (überspitzt formuliert). Kindgerecht und so reduziert, dass sie es einordnen können.

Um den Terror einordnen zu können, haben wir zuerst also über den Krieg gesprochen: Was ist Krieg überhaupt? Warum gibt es Krieg? Wie hängt das mit der Flüchtlingskrise zusammen? Statt „nur“ darüber zu reden, haben wir von unserer Familiengeschichte erzählt: Auch Teile unserer Familie haben im Krieg gekämpft, haben schreckliche Zeiten im zweiten Weltkrieg durchlebt und können davon mehr erzählen, als ich. Ich kenne die ganzen Geschichten und es ist ein Teil unserer Familie. Irgendwann kommt die Zeit, da sollten auch die Kinder die Familiengeschichte kennenlernen – was liegt hier naheliegender als den Uropa erzählen zu lassen? Er hat im Krieg gekämpft, hat ihn hautnah miterlebt, war in Russland gefangen. Seine Erzählungen haben mich geprägt und sie sind ein Teil von mir. Wenn meine Oma erzählte, wie sie vor den Russen geflüchtet sind, sich im Keller versteckt haben, um vor Vergewaltigungen und Ermordung sicher zu sein bekam ich Gänsehaut.  All das liegt noch nicht lange hinter uns. Nur vergessen wir das gerne.

Wenn mich meine Kinder nun fragen, ob es bei uns wieder Krieg geben wird, dann antworte ich ihnen, dass es in anderen Ländern der Welt Krieg gibt und deswegen viele Menschen bei uns Schutz suchen. Wir können uns glücklich schätzen, in diesem Land in dieser Zeit zu leben. Aber auch ich weiß nicht, wie sich die Situation weiterentwickeln wird und lüge in diesem Punkt meine Kinder nicht an.

Tipps für Eltern, wenn du mit deinem Kind über den Terror sprichst

1. Zuhören. Höre deinem Kind zu, nimm seine Ideen und Gedanken an, ohne darüber zu urteilen. Du musst nicht immer gleich eine Antwort parat haben, du kannst auch Fragen stellen um genauer zu erfahren, was dein Kind über den Terror denkt, was es schon aufgeschnappt hat, was es vielleicht aus dem Kontext gerissen hat, was es falsch verstanden hat und welche Themen es verunsichern.

2. Die Gedanken und Ängste deines Kindes ernst nehmen.

3. Kinder haben ein Recht darauf die Wahrheit zu erfahren. Statt zu sagen „Da hast du etwas falsch verstanden“ oder das Kind aufs Zimmer zu schicken, ist es besser, die eigene Bestürzung zum Ausdruck zu bringen. „Ich kann das auch nicht verstehen, was da passiert ist.“

4. Bilder der Tragödie sind für junge Kinder kein geeignetes Mittel, ihnen den Vorfall zu erklären.

5. Medienberichte filtern. Keinesfalls sollte das Kind Nachrichten in dieser Zeit alleine hören. Wenn das Kind dabei ist, dann miteinander anschauen oder hören und dann darüber sprechen.

6. Spricht dein Kind nicht von selbst über dieses Thema, dann fordere es nicht dazu auf. Es werden Fragen kommen, wenn auch dein Kind so weit ist.

7. Kindern tut es nicht gut, in Angst aufzuwachsen, denn diese Grundstimmung überträgt sich auf ihr restliches Leben. Statt dein Kind nun zu beunruhigen und zu sagen „Es kann uns alle treffen“, dem Kind Sicherheit vermitteln.

8. Versuche möglichst sachlich mit deinem Kind dieses Thema zu erörtern: Eine kindgerechte Sprache, die erzählt, was passiert ist. Und auch Hintergründe miteinbezieht, wenn sie für das Kind relevant sind.

Doch ab welchem Alter können Eltern mit ihren Kindern über dieses Thema sprechen?

Ein Kind unter 5 Jahren sollte nur dann über den Terror aufgeklärt werden, wenn es auch dazu Fragen stellt. Dann ist eine kindgerechte Aufarbeitung wichtig: „Da hat jemand geschossen und die Polizei passt nun auf, dass es nicht noch einmal passiert.“ Es muss keine Details erfahren oder das ganze Ausmaß der Tragödie. In diesem Fall ist es auch nicht ratsam Bilder von dem Attentat zu zeigen, weil diese Angst verursachen und nicht eingeordnet werden können. Wichtig ist auch zu erklären, dass Paris weit weg von zu Hause ist und das Kind zu Hause in Sicherheit ist. Das Sicherheitsgefühl prägt Kinder ihr ganzes Leben – eine schreckliche Vorstellung, würden Kinder in Angst aufwachsen. Auch, wenn wir es als Erwachsene „besser“ wissen. Kindern unter 5 Jahren ist das Ausmaß der Tragödie und welchen Einfluss es auf ihr Leben kann, überhaupt nicht bewusst.

„We now know that early childhood impressions play an important role in how the nervous system develops. In general, chronic fear, worry and stress can change brain structures and even create a predisposition for specific chemiacal responses that affect a whole gamut of physiologic processes.“ (theattachedfamily)

Daher gilt hier das Prinzip: Nicht verschweigen wenn dein Kind fragt oder die Frage aufschieben, sondern beantworten, aber nicht im vollen Ausmaß.

 

Mit Kindern über Terror sprechen

Quelle: Brighthorizons

Ältere Kinder können von den Medien nur schwer ferngehalten werden und sie werden die ein oder anderen Informationen aufschnappen, die aus dem Kontext gerissen sind und das Kind verunsichern, wenn es den Zusammenhang nicht erfährt. Es wäre nun der falsche Weg das Kind vor den Fernseher zu setzen und die Berichterstattung anschauen zu lassen, sondern es geht auch hier um eine kindgerechte Erklärung, was passiert ist bzw. auch über andere Anschläge und das Thema Krieg erzählen. Krieg ist ein Thema, das von Kindern – wenn es einen aktuellen Anlass gibt – nicht ferngehalten werden muss. Es gibt mehrere Kinderbücher, die dieses Thema aufgreifen und erklären, was Krieg ist. Diese Bücher wären eine gute Möglichkeit, mit den Kindern dieses schwierige Thema aufzuarbeiten.

Angelika Kaufmann: Das fremde Kind
Claude Dubois: Akim rennt
Johanna Kang: Die große Angst unter den Sternen
Roberto Innocenti: Rosa Weiss
Judith Kerr: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
Das Tagebuch der Anne Frank

Obgleich die Tragödie schon für Erwachsene unfassbar ist, brauchen uns Kinder in dieser Zeit besonders. Sie fordern unsere Nähe, unsere Gespräche und unser Gefühl nach Sicherheit.

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