Kinderlärm: Psst, nicht so laut – Oder: Warum mein Kind laut sein muss

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Ich habe ein lautes Kind. Ein sehr lautes Kind. Sie schreit lauthals, rennt mit ordentlich Getrampel durch die Wohnung. Sie kreischt, sie hüpf, sie brüllt von einem Zimmer ins andere. Ein Kind, das gerne laut ist, laut singt, laut spricht, laut geht. Ein Kind, das zu Hause genauso laut ist wie unterwegs in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Wartezimmer beim Arzt. Ein Kind, das auf andere Menschen mit dem Finger zeigt, wenn sie bei Rot über die Straße gehen und laut schreit „Das darf man nicht!“. Für mein Kind gibt es nichts Schöneres als nachmittags (!) mit lautem Gebrüll und Getrampel zu spielen. Das entfesselte Spiel mit Lautstärke und Kraft ist ihre Art, Dampf abzulassen und Spannungen abzubauen. Es ist ein unglaublicher Geräuschpegel und ich gestehe, dass ich mir schon oft einen Lautstärkeregler wünsche.

Ich gestehe, dass es mir oft unangenehm ist, ich rot werde und mich frage, was wohl die Nachbarn von uns denken. Wahrscheinlich denken sie, dass ich mein Kind nicht im Griff habe, wenn es auf dem Sofa hüpft, schreit und Krach macht. Aber: Kinder können nicht einfach leise sein.

Stimme ist Persönlichkeit

Kinder sind ungehemmt, Kinder sind authentisch, Kinder sind frei. Sie lassen allen ihren Gefühlen, Emotionen, Spannungen und Unruhen Raum, sie lassen sie einfach raus. So, wie es gerade kommt. Egal wo, egal wann, egal wie. Je lauter Kinder sind, desto mehr Spaß haben sie, desto enthemmter sind sie, desto freier sind sie in ihrem Spiel. Wenn dann mehrere Kinder aufeinandertreffen, dann wird es noch lauter, weil Kinder über ihre Stimme und ihre Lautstärke ihre Persönlichkeit ausdrücken, sich positionieren und erproben, ihren Platz zu finden. Dass man sich auch über leise Worte Gehör verschaffen kann, lernen Kinder erst mit der Zeit- zunächst drücken sie sich über ihre Lautstärke aus.

Stimme ist überlebenswichtig

Babys können wahnsinnig laut und intensiv schreien und die Intensität des Schreiens auch ihrem Gemütszustand und Grad an Unwohlsein anpassen. Die Stimme ist für Babys überlebenswichtig, wenn man so möchte. Nur mit steigender Lautstärke können Babys ihre Bedürfnisse ausdrücken, da ihnen vergleichbare verbale Möglichkeiten fehlen. Auf ein weinendes Baby reagieren Erwachsene (normalerweise) mit Fürsorge und eilen hin, weil das Weinen in uns Unwohlsein hervorruft, uns in Unruhe bringt und aufwühlt. Wir können fast nicht anders als zu helfen, das Baby hochzunehmen, es zu trösten und seine Bedürfnisse erfüllen. Mein Kind hat seine Bedürfnisse schon immer lautstark mitgeteilt. Wenn sie in die Windeln machte, wenn sie Hunger hatte, wenn sie getragen werden wollte und immer dann, wenn etwas nicht so war, wie sie es gerne wollte.

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Sie konnte immer schon gut zeigen, dass sie da ist. Sie hat sich so auch abgesichert, dass ich sie nicht vergesse und nicht übersehe. Habe ich ihre Signale nicht schon vorher erkannt, stand sie lautstark für ihre Bedürfnisse ein. Laut. Sehr laut. Unüberhörbar laut. Ihre Lautstärke gibt mir Sicherheit. Ich weiß immer, wo sie ist. Ich höre sie. Auch wenn sie unten im Hof spielt und weiter von mir entfernt ist. Ich höre sie. Und wenn ich sie nicht höre, dann weiß ich, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist (oder sie etwas anstellt).

Rücksichtnahme lernen

Was mir unangenehm ist sind die Blicke der anderen. Mein lautes Kind wird nicht so angenommen wir es ist und auch nicht so gesehen, wie ich sie sehe. Sie ist der Störenfried, sie ist vielen lästig. Egal ob sie in der Wohnung spielt oder im Hof. Ich sorge mich darum was sie denken, wie sie über uns als Familie denken, ich sehe ihre verärgerten und genervten Blicke, wenn mein Kind mal wieder am Balkon schreit. Ich würde mir wünschen, dass auch andere Menschen dich sehen und dir zugestehen so zu sein, wie du bist. Auch ich bin von deiner Lautstärke manchmal genervt – ich spreche mich da gar nicht frei davon. Wir haben zwar Absprachen und Abmachungen, aber sie kann sie nicht immer einhalten, weil sie dafür viel zu impulsiv ist, viel zu sehr im Hier und Jetzt lebt. Es fällt ihr noch schwer, einen Wunsch oder ein Bedürfnis aufzuschieben. Von Gesetzeslage her müsste ich mir da keine Sorgen machen, wenn sich die Nachbarn durch den Kinderlärm gestört fühlen. Das ist jetzt kein Freibrief fürs Toben und Lärmen, nein, ich finde es auch wichtig, eigene Bedürfnisse klar zu kommunizieren (ich brauche etwas Ruhe) und rücksichtsvoll mit seinen Mitmenschen umzugehen – das gilt aber auch für Erwachsene, die mit den Bedürfnissen der Kinder oft alles andere als achtsam umgehen (und sogar bewirkt haben, dass unsere Spielstraße geschlossen wird).

Stichwort: Toleranz und Entgegenkommen. Auf beiden Seiten.

Kinder brauchen die Möglichkeit zu lärmen und sich auszutoben – es ist ein Bedürfnis. Wenn sie es aber nicht mehr einmal draußen dürfen, am Spielplatz oder auf der Spielstraßen, wo denn dann? Es darf nicht sein, dass Kinder verstummen müssen, weil einige Erwachsene nicht verstehen, dass Kinder laut sein dürfen und es sogar müssen.

Mein lautes Kind, ich liebe dich. So wie du bist. Du darfst Kind sein, mit jeder Faser deines Körpers und mit jedem Ausdruck deiner Stimme.

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