Herr Herbst ruft

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Karli spielte am liebsten im Zimmer. Dass er sich dieses mit seinem zwei Jahre älteren Bruder teilen musste, störte ihn nicht, denn Manfred hielt sich nur zum Schlafen darin auf. Vielleicht noch, wenn er Hausaufgaben machte, aber ansonsten war er immer draußen. Karli nicht. Ins Freie bewegte er sich nur, wenn es gar nicht anders ging. Zum Beispiel, wenn er in die Schule gehen musste. Oder wenn es im Sommer heiß war. Dann erfrischte er sich gerne beim Schwimmen. Das war’s jedoch. Zu mehr Sport war Karli nicht zu bewegen. Schon gar nicht in den übrigen drei Jahreszeiten.

Sogar jetzt im Herbst, wo die Sonne so schön auf die bunten Blätter schien, wollte Karli nicht rausgehen. So sehr sich seine Eltern bemühten, ihn zu mehr Bewegung in frischer Luft anzutreiben, es nützte nichts. Nicht mal Karlis Freunden gelang es, ihn zu motivieren.
Es war wieder ein sonniger Herbsttag, als Manfred plötzlich zu Karli ins Zimmer stürmte.

„Herr Herbst ruft an“, sagte er und hielt ihm ein Handy hin.

„Wer soll das sein?“, fragte Karli.
„Na, Herr Herbst eben. Er will dich sprechen, dich einladen, zu ihm in die Natur.“
„Du veralberst mich …“
„Ganz bestimmt nicht, jetzt nimm‘ schon.“
Karli hielt das Handy an sein Ohr. Er hörte eine tiefe Stimme. Diese sprach tatsächlich das aus, was Manfred schon angedeutet hatte. Dass er, der Herr Herbst, ein wenig traurig wäre, weil er, der Karli, nie zu ihm rauskam. Dabei wollte er ihm doch seine bunt gefärbten Blätter zeigen. Wollte ihm vorführen, wie viel Freude es machte, durch die von den Bäumen herabgefallenen Blätter zu laufen. Und wollte ihn den einzigartigen herbstlichen Duft riechen lassen.

Karli konnte es nicht fassen.
„Es gibt doch gar keinen Herrn Herbst“, behauptete er.
„Du hast eben mit ihm gesprochen.“
„Ja, aber …“
„Nichts aber. Komm‘, wir gehen raus. Dann merkst du ja, ob es stimmt, was er gesagt hat.“
Karli folgte seinem Bruder. Er sah nicht, wie Manfred den Eltern zuzwinkerte. Sie spazierten in den Park und spielten mit dem Ball, den Manfred mitgenommen hatte. Dann sammelten sie Kastanien.
„Da basteln wir was draus“, erklärte Manfred und Karli nickte begeistert. Überhaupt fand er auf einmal Spaß daran, im Freien herumzutollen. Komisch …
Sollte es wirklich diesen Herrn Herbst geben, so hatte er Karli von seinen herbstlichen Schönheiten überzeugt. Denn am nächsten Tag war es Karli, der Manfred bat, mit ihm in den Park und später noch in den Wald zu gehen.

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