Fremdeln: Hilfe, mein Baby weint bei der Oma

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Hallo,
mein Sohn ist 9 Monate alt und hat vor ein paar Wochen zu fremdeln begonnen. Erst gestern hatten wir so eine Situation: Die Oma darf ihn nicht einmal anschauen, schon weint er. Dabei sieht sie in etwa 2 Mal pro Woche. Manchmal lässt er sich dann auch gar nicht beruhigen, ich muss wirklich mit ihm aus dem Raum gehen, damit er wieder ruhiger wird. Die Oma meinte nun, das sei ziemlich extrem und ich solle ihn nicht so verwöhnen, da muss er eben durch. Aber mir tut er so leid, wenn er dann bei ihr weint und seine Arme nach mir streckt. Was meint ihr dazu?
Danke, Bella

Hallo Bella,

ich sage mal: Herzlichen Glückwunsch! Und das meine ich keinesfalls ironisch, sondern ehrlich. Die Fremdelphase, auch Achtmonatsangst genannt, ist ein wichtiger Entwicklungsschritt im Leben deines Kindes. Ich finde es völlig richtig, wenn du deinen Sohn wieder zu dir nimmst, wenn er nach dir weint. Babys haben unterschiedlich ausgeprägte Fremdelphasen – bei den einen ist es stärker spürbar, bei anderen Babys leichter. Das ist vor allem eine Frage des Temperaments – einige Kinder sind nur ein wenig zurückhaltender und schüchtern, andere weinen schon, wenn die Oma sie nur anschaut. So wie du es auch beschrieben hast. Das hat nichts mit verwöhnen zu tun, wenn du das Bedürfnis deines Sohnes erfüllst und ihm den Raum gibst, sich zu beruhigen.

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Das Fremdeln ist ein wichtiger Punkt in der Entwicklung deines Kindes – es ist weder ein Verwöhnen, noch ein Erziehungsfehler, noch mangelnde Bindung. Forscher vergleichen das Fremdeln gerne mit einem Systemabsturz im Gehirn – das klingt nun im ersten Moment eigenartig, lässt sich aber erklären: Nach 9 Monaten hat dein Sohn schon eine Kommunikation mit dir entwickelt, die durch ganz feine Antennen funktioniert. Durch die Beobachtung hast du gelernt, deinen Sohn zu verstehen und er auch durch. Das sind Blicke, Berührungen, Gerüche, Gesten, deine Mimik. Ihr habt einander kennengelernt. Eine fremde Person wird nie diese Art der Kommunikation erreichen, wie du sie mit deinem Sohn hast – auch, wenn ihn die Oma regelmäßig sieht. Was in deinem Sohn nun vorgeht ist mit der Gehirnentwicklung erklärbar: Er lernt zwischen Gewohntem und Fremden zu unterscheiden. Die Sinneswahrnehmung deines Kindes differenziert sich und er hat gelernt, dich von anderen Leuten zu unterscheiden. Nicht mehr jedes Lachen wird freundlich erwidert. Von blindem Vertrauen wechselt dein Kind also auf Misstrauen bei Menschen und Dingen, die ihm fremd sind. Dieses Verhalten ist eine sinnvolle Kindersicherung der Natur: Dadurch, dass dein Baby Ängste hat, bleibt es immer in der Nähe von vertrauten Personen (meist die Mutter), die der sichere Hafen ist. Du darfst nie außer Sichtweite sein – diese Phase kann dich zwar fordern, hat aber im Verlauf der Menschheitsgeschichte unserer Spezies das Überleben gesichert. Wäre in Zeiten des Säbelzahntigers ein Baby einfach davongekrabbelt, wäre es eine leichte Beute gewesen. Dieser Mechanismus sorgt aber für eine gesunde Skepsis neuen Dingen gegenüber und schützt es vor Situationen, denen es alleine noch nicht gewachsen ist. Lächelt ihn die Oma nun an, ist das nicht das Muster, das er von dir kennt und sein Gehirn meldet: Da stimmt was nicht. Nur weiß dein Sohn nicht, wie er sich darauf einlassen kann und möchte wieder zu dir zurück.

Wie du auf das Fremdeln reagieren solltest

Ganz klar: Trösten und viel Nähe geben. Es hilft in dieser Situation nichts anderes als ein zurück auf deinen Arm, zurück zum sicheren Hafen. Du darfst zum Schutz deines Sohnes die Oma auch ruhig bitten, ihm ein wenig Zeit zu geben und auf Abstand zu gehen. Sag ihr auch, dass er es nicht böse meint. Die gut gemeinten Annäherungsversuche mit „Na komm doch zur Oma, ich beiße doch nicht“ machen die Situation nur noch schlimmer. Für deinen Sohn wäre es eine Quälerei, wenn er nicht zu dir zurück dürfte.

Du bist der Anwalt deines Sohnes und bietest ihm Rückendeckung. Verteidige seine Ängste, sei für ihn da und tröste ihn. Zwinge ihn nicht dazu, dass er bei der Oma auf dem Schoß sitzen muss, dass er ihr die Hand geben  oder –  noch schlimmer – in Bussi geben muss. Gib ihn auch nicht einfach in fremde Arme, wenn er das nicht möchte. Dieses Verhalten weil es die anderen so erwarten kann dazu führen, dass dein Sohn sein Vertrauen in dich verliert. Deswegen ziehe seine Angst auch nicht ins Lächerliche, sondern nimm sie ernst.

Alles Liebe,

Anna von welovefamily

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