Bitte und Danke sagen: Warum ich meine Kinder nicht zwinge

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Neulich beim Einkaufen: Wir standen an der Kassa, vor uns eine Mutter mit ihrem Sohn, schätzungsweise 4 Jahre alt. Die Kassiererin war freundlich und schenkte dem Kind einen Schlecker. Daraufhin die Mutter: „Was sagt man da?“ Zähneknirschend entkam dem kleinen Buben ein leises und schüchternes „Danke“. Darauf die Kassiererin: „Da haben Sie schon Recht, Kinder müssen lernen, sich zu benehmen.“

Einige Tage später in der Straßenbahn. Da war dann meine 2-Jährige betroffen, die einen Sitzplatz für sich beanspruchte. Um uns herum waren genügend Plätze frei, außerdem viele andere Menschen, die bei einer möglichen Vollbremsung kräftig genug wären, sich festzuhalten und nicht durch die Straßenbahn geschleudert zu werden (nicht umsonst gibt es auch die Aufkleber, dass es spezielle Plätze für Erwachsene mit Kleinkind auf der Schoß gibt). Eine ältere Dame mit Stock, die sich sichtlich schwer tat beim Gehen, stieg ein. Ich bot ihr meine Hilfe an. Sie schaute mich an und fauchte auf meine Tochter hin, sie solle gefälligst aufstehen. In einem sehr barschen und unfreundlichen Ton, ohne Bitte und Danke (nur so am Rande). Wie geschrieben, es waren andere Plätze frei. Ich entgegnete, dass ich ihr gerne helfe sich niederzusetzen, meine Tochter wird aber zu ihrem Schutz sitzen bleiben. Daraufhin durfte ich mir eine wüste Beschimpfung darüber anhören, dass Kinder heute kein Benehmen mehr haben, keine Werte mehr lernen, keinen Respekt vor den Alten haben und ich sowieso unmöglich sei. Hmmmm…… ich vermute, selbst wenn meine Tochter aufgestanden wäre, hätte sie sich nicht bei ihr bedankt. Aber von Kindern wird ein Bitte und Danke in jedem Satz erwartet?

Vom Bitte und Danke sagen oder warum ich meine Kinder nicht zwinge

Ich bin sicher kein unhöflicher Mensch, im Gegenteil. Aber ich habe meinen Kindern nie gesagt: „Und wie sagt man da?“ Ich habe sie nie gezwungen, Bitte oder Danke zu sagen, weil es mir nicht logisch erscheint. Ich habe es meinen Kindern genauso wenig beigebracht wie durchschlafen, die Hand geben oder aufs Klo zu gehen – irgendwann klappte es.

Durch Vorleben – imitierendes Lernen.

Ich funktioniere für meine Kinder als Sprachmodell und ich spreche mit ihnen auf eine Art und Weise, wie ich es auch von ihnen wünsche. Würde jemand zu mir sagen: „Wie sagt man da?“ oder „Wie heißt das Zauberwort?“ käme ich mir ziemlich bloßgestellt und erniedrigt vor. Ich gehe sogar soweit und sage, da kommt mir das Kotzen, wenn meine Kinder zu einem Bitte gezwungen werden, um etwas zu bekommen. Würde ich dasselbe sagen, würde niemand nach einem Bitte verlangen. So entsteht ganz schnell ein Machtgefälle, das unnötig ist und nicht sein muss. Irgendwann glaubt das Kind vielleicht, mit einem Bitte alles zu bekommen – wie groß muss die Enttäuschung sein, wenn es dann doch nicht klappt.

Das „Hilfs-Ich“

Schwierig war es für mich, als sie etwa in der Apotheke einen Sticker bekommen haben und nichts sagten. Ich merkte, wie sich das Gegenüber eine Antwort erhoffte und wartete, nach dem Motto: „Und, kann das Kind denn auch Danke sagen?“ Statt mein Kind aufzufordern und bloßzustellen, habe ich es übernommen und mich bedankt für die nette Geste. Ich agierte für mein Kind als „Hilfs-Ich“.

Es kam dann etwa im Alter von 3 Jahren, da haben meine Kinder von selbst begonnen, Danke zu sagen. Einfach so. Weil sie merkten und beobachteten, das gehört dazu.  Das Danke kommt, wenn sie es fühlen und etwas wie Dankbarkeit entwickelt haben. Mehr braucht es dazu auch nicht.

Dass Kinder das Bitte und Danke in der Kommunikation erleben und merken, dass es ein Teil des „guten Benehmens“ und unserer Kultur ist, ist der entscheidende Faktor. Nicht die Aufforderung. Ich muss mein Kind nicht zwingen, sondern kann seinen Part übernehmen. Irgendwann, wenn das Kind bereit ist, wird es diese Aufgaben selbst übernehmen.

Was Kinder durch die Aufforderung zu Bitte und Danke lernen

Ein Kind, das „funktioniert“ und artig Bitte und Danke in den richtigen Situationen abspult, hat vielleicht ein Gefühl wie Dankbarkeit noch gar nicht erfahren. Was passiert im Inneren?

  1. Geringes Selbstvertrauen: Durch die Aufforderung erfährt das Kind, dass es sich selbst nicht gut genug verhalten hat und deswegen gemaßregelt wird.
  2. Anweisungen befolgen: Es merkt, dass es ohne den Anweisungen oder Zurechtweisungen von Erwachsenen sich nicht „regelkonform“ verhalten kann04. Es entsteht eine Abhängigkeit.
  3. Machtgefälle: Das Kind fühlt sich klein, weil es eine Anweisung durch Erwachsene braucht.
  4. Selbstbestimmung geht verloren: Vielleicht freut sich das Kind gar nicht so über das Geschenk?
  5. Dankbarkeit geht verloren: Wenn ein Danke oder Bitte immer nur abgespult wird, geht das Gefühl der Dankbarkeit schrittweise verloren. Das Kind kann ein echtes Danke gar nicht mehr formulieren.
  6. Lügen: Wird das Kind zu einem Danke gezwungen, das es nicht fühlt, lügt es (in gewisser Hinsicht).

Mit den guten Manieren meiner Kinder möchte ich heute niemandem imponieren oder vorgeben: Schau, wie toll sich meine Kinder benehmen können. Das erwarte ich nicht von ihnen und da liegt der Unterschied:

Auch ich benutze nicht in jedem Satz Bitte und Danke und erwarte das nicht von meinen Kindern, nicht vor den Großeltern, der Kassiererin oder der Apothekerin.

Wenn mein Kind Dankbarkeit und Freude empfindet, dann kann es diese zum Ausdruck bringen und formulieren. Sonst springt eben mal das „Hilfs-Ich“ ein.  Ich bin überzeugt davon, dass meine Kinder durch mein Verhalten und mein Vorleben sich genauso gesellschaftsfähig benehmen werden können, wie ich. Dazu muss ich ihnen zugestehen, dass sie sich ihrem Alter entsprechend entwickeln und dass es Lebensphasen gibt, wo sie den gesellschaftlichen Maßstäben (noch) nicht entsprechen.

#einfachmalsodanke

Wie erfolgreich dieser Erziehungsansatz (nach anfänglichen Selbstzweifel) ist, sehen wir jetzt immer öfter. Meine Kinder sagen „einfachmalsodanke“. Danke für das Mittagessen, dass ich ihnen gekocht habe, danke, dass ich ihre Wäsche eingeräumt habe, danke, dass ich jeden Abend mit ihnen im Bett noch kuschel, danke, dass ich sie immer tröste, wenn sie mich brauchen. Und dieses Danke kommt aus tiefstem Herzen, ohne Zwang und Druck, sondern, weil sie es empfinden. Daher ein Danke an meiner Kinder für ihre warmen und offenen Worte und Danke für alle Wegbegleiter, die uns mit unserem Gedanken und Wünschen zur Seite standen. Die uns durch schwierige Zeiten der Selbstzweifel begleiteten, die uns stundenlang zuhörten, die ein wichtiger Teil unseres Familienlebens wurden. Und Danke an alle, die von meinen Kindern kein Bitte und Danke erwarten sondern sehen, dass sie Kinder in der Entwicklung sind.

Was sind deine Gedanken dazu? Schreib mir!

Deine Anna

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